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888 Tage Schwarz-Gelb…oder was wäre, wenn es Gott doch gäbe

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Gegeneinander

Westerwelleplakat

(Foto: krj / CC BY-NC-SA 3.0)

Der kühle Ostwind reißt mühelos einen feuchten blassgelben Papierfetzen los und trägt ihn davon. Zurück bleibt der im Grau dieses Tages noch trostloser wirkende Mast einer alten, angerosteten Straßenlaterne. An ihr zappelt im Wind ein unversehrter  Plakatträger. Auf ihm der Rest eines verblichenen Plakates. Länger betrachtet, lässt sich die ehemals strahlend gelbe Grundfarbe noch erahnen, auch wenn Sie sich jetzt kontrastlos zur grau-braunen Holzfaserplatte zeigt. „Arbeit muss sich wieder lohnen. Dr. Guido Westerwelle“ ist noch deutlich zu lesen. Auch die hautschonend lächelnde Mundpartie  von Dr. Westerwelle hat die Böe verschont. Der Rest Westerwelle ist verweht. Was noch da ist, ist verwaschen. Als gäbe es Gott doch. Als wolle er jedem, der an diesem 29. September 2009 auf dem Weg zur Arbeit ist und an dieser Ampel im Norden Berlins halten muss, Ausblick darauf geben, was werden wird. Vielleicht hofft er sogar darauf, dass die schwere Limousine Seehofers oder gar Merkels auf dem Weg zum ersten Termin der Koalitionsverhandlungen hier anhalten muss – und darauf, dass man sein Zeichen richtig deuten wird.

An diesem letzten Dienstag im September des Wahljahres 2009 stellt nicht nur das Tief Quinn die Weichen auf Herbst, sondern in Berlin formiert sich eine ebenso stürmische Koalition des Gegeneinanders. Schon während der Koalitionsverhandlungen lassen die Verhandlungspartner alle Hüllen des kommunikativen Anstandes fallen. Beim Dauerthema Steuerentlastungen bellt der damalige CDU-Fize und Ministerpräsident Niedersachsens Wulff (laut bams) die FDP-Spitzen an, dass deren Forderung nach spürbaren Steuersenkungen und deren Gegenfinanzierung “in hohem Maß unseriös”, “realitätsfern” und ein finanzpolitischer “Blindflug” seien. Ebenso große Uneinigkeit herrscht beim Thema Gesundheitsfonds. Rössler und von der Leyen verweigern hier sogar öffentlich den harmonischen Paartanz. Hinzu kommt Uneinigkeit in der Atompolitk, bei Grundsatzfragen wie Schattenhaushalt und die Finanzierung eines Sonderefonds durch Neuverschuldung. Bei nahezu allen großen Wahlkampfthemen ist man sich nicht nur in Teilen uneinig, sondern vertritt gänzlich kontroverse Positionen. Schon das anfängliche Miteinander von Schwarz-Gelb gleicht eher dem Arianischen Streit als einer Koalitionsverhandlung.

Gegeneinander

(Foto: krj / CC BY-NC-SA 3.0)

Dennoch unterzeichnen CDU/CSU und FDP in Rekordzeit nach nur 28 Tagen den Koalitionsvertrag „WACHSTUM. BILDUNG. ZUSAMMENHALT“.

Zusammenhalt! Großgeschrieben und um jeden Preis. Alleine deswegen schon sollte man diese Koalition nicht ernster nehmen als einen indischen Flusskrebs, der erklärt, dass er einen griechischen Sparstrumpf stricken kann.

Was aber wird daraus, wenn ein Miteinander nicht an gemeinsamen Positionen, sich befruchtenden Ideen oder ergänzenden Qualifikationen festgemacht wird, sondern durch parteipolitische Eitelkeiten und machtpolitischem Strategiedenken haltlos in der Brandung treibt? Richtig: es bedarf zur Strandung weit weniger als eine Westerwelle. Es bedarf auch keiner Anhöhe, keinem Guttenberg, um das kommen zu sehen.

So vergingen dann auch keine 4 Tage bis Otto Fricke (FDP) in der BILD den Koalitionspartner rügt und auf Steuersenkungen bereits Anfang 2010 pocht. Der partnerschaftliche Gegenschlag folgt niveautreu durch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Böhmer (CDU), der eine Verfassungsklage gegen den FDP-Entwurf nicht ausschließt.

Damit begann dann auch das gezielte Federrupfen der FDP durch CDU/CSU. Klar, ist die Achtung voreinander erst einmal verloren, rupft sich’s gänzlich unverfroren.

Das politische Jahr 2010 beginnt ohne Steuerentlastungen. Dafür stellt Schäuble erstmal klar, dass er diese auch 2011 nicht möchte. Die FDP regiert zwar bereits nicht mehr mit, aber reagieren, das kann sie noch. Auf ihrem Parteitag im April 2010 ist man sich bei der FDP einig und lässt durch den damaligen Generalsekretär Lindner und seinem Vize Pinkwart Schäubles Fähigkeiten in Frage stellen. Brüderle, der damals noch Wirtschaftsminister war, mahnt Kollegen Schäuble in der Rheinischen Post sogar zur Koalitionsdisziplin. In Zeiten von Mail, Facebook und Twitter kommunizieren die Koalitionspartner per Printmedien gegeneinander. Zumindest im Streit ist man transparent. Grundsätzlich ist aber, wenn man sich dem Wort Disziplin innerhalb einer selbsterklärten Partnerschaft schon bedienen mag, der Ranghöhere meist der, der diszipliniert.

Was auf persönlicher Ebene oft kindisch wirkt und uns viele peinliche Suppenkasparpossen liefert, bekommt auf Verwaltungsebene eine ganz neue Qualität. Anfang Mai 2010 kracht es zwischen dem FDP geführten Wirtschaftsministerium und dem Arbeitsministerium (CDU) heftig. Grund für die Differenzen ist der Pflege-Mindestlohn, den die Brüderle-Verwaltung, obwohl mühsamst ausgehandelt, plötzlich nur befristet einführen möchte.

Nach 9 Monaten ist der Graben zwischen den Koalitionspartnern bereits so tief, dass aus allen Lagern hilflose Verbalsalven abgefeuert werden. Es geht hier längst nicht mehr um Themen, sondern vielmehr darum, dem eigenen Frust über den verhassten Zwangspartner Luft zu machen. Von „Wildsaupolitik“ und „Gurkentruppe“ ist die Rede. Markus Söder wirkt in diesen Tagen fast angeekelt, wenn er gegen Rössler das Wort führt: „Er macht Millionen Menschen zu Bittstellern“, sein Gesundheitsvorhaben „verstößt gegen die Grundphilosophie der Koalition“. Christian Lindner diagnostiziert bei Seehofer gar ein „persönliches Trauma“, da dieser bereits bei der CDU/CSU-Gesundheitsreform gescheitert ist. Hessens FDP-Boss Jörg-Uwe Hahn glaubt die Berliner Koalition „in der Endrunde“. Auch Söder (CSU) holt schon mal den fränkischen Endzeitjargon raus und spricht von den „Schicksalstagen der Koalition“. Merkel sieht sich gezwungen einzugreifen. In der FAZ stellt sie klar, „ich bin nicht bereit zu akzeptieren“, wie die Koalitionspartner übereinander reden. Wäre sie nur damals an der Berliner Ampel gestanden und hätte Westerwelle wegwehen sehn.

Was sagt man aber in Tibet über tiefe Gräben? „Wenn du in einem Loch sitzt, musst du zuerst mit dem Graben aufhören.“ Und was lernt uns Prof. Dr. Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger über den Koalitionspolitiker? „Der Selbstzweck ist der Tyrann unter den Zwecken.“

Wen also verwundert es noch, dass sich, keine Woche nach dem Merkelmachtwort, Brüderle in das von Merkel bereits 2009 zur Chefsache erklärte Opel-Staatshilfe-Thema einmischt. Ohne jedwede vorherige Absprache verkündet er, „das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“. Hier hat er scheinbar auch Recht, denn nachdem sich auch Westerwelle hinter ihn stellt, wird Opel plötzlich zum Gegenstand des Präsidentendeals um Wulff. „Das Nein zu Opel ist das Ja zu Wulff“ sagt Thürings Wirtschaftsminister Matthias Maching. FDP-Chef Hahn ist ganz ähnlicher Meinung: „Wenn die Union nicht endlich mit einer Stimme spricht“, könne sie nicht erwarten, dass die Liberalen ihren Kandidaten „einfach bedenkenlos wählt“. In seinen Augen ist gar “die CDU-Vorsitzende das Problem”. “Bringen Sie Ihren Laden endlich in Ordnung“, so Hahn Mitte Juni 2010 in Richtung Merkel.

Nach der Sommerpause geht es munter weiter. Die Themen bei denen Uneinigkeit herrscht, größtenteils sogar gänzlich anderen Philosophien gefolgt wird, sind allumfassend.

  • Oktober 2010: FDP legt Eckpunktepapier zur Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung vor. Gleichzeitig fordert Bosbach (CDU) eine Verschärfung.
  • Oktober 2010: Merkel will Gentests an Embryonen verbieten. Die FDP will das PID-Verbot ausdrücklich lockern.
  • Februar 2011: Die Union ist für die Festschreibung schneller Breitbandverbindungen im Telekommunikationsgesetz (TKG). Brüderles Ministerium stellt sich quer.

Dann werden die Plagiatsvorwürfe gegen Guttenberg öffentlich. Wer im März 2011 in den unzähligen Talkshows und Tagesschauinterviews hinter die Fassade des ein oder anderen FDP-Politikers geschaut hat, die Genugtuung förmlich am Bildschirm erschnüffeln konnte, dem hat es sich doch aufgedrängt: Irgendwann um die Weihnachtszeit, in einer mondlosen Nacht, die das Leuchten des FDP-gelben Ganzkörperheiligenscheins so wundervoll zur Geltung bringt, lag irgendwo in einer Berliner Abgeordnetenwohnung ein stolzer Liberaler wach und hatte diese Idee. Er stand auf, kramte die Handynummer von Julian Assange aus seiner Schreibtischschublade, rief an und murmelte mit verstellter Stimme: „Guttenberg…Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg…Schönling…Volksliebling…Kanzlerliebling…SUCH!“

  • April 2011: Die FDP will den Arbeitnehmer-Pauschbetrag unbedingt 2011 erhöhen. Schäuble ist dagegen und verweist auf 2012.
  • Mai 2011: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will Daten-TÜV unbedingt durchsetzen. Ihr Kollege im Innenressort Hans-Peter Friedrich (CSU) verschleppt das Verfahren gezielt.
  • Juni 2011: Das CDU geführte Innenministerium will Anti-Terrorgesetze verlängern. FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger spricht sich im ARD Interview dagegen aus.
  • September 2011: Unionsfrauen gehen mit ihrem Protest gegen das Betreuungsgeld für Mütter an die Öffentlichkeit und stellen die Zustimmung der Unionsfraktion in Frage.

Das größte europapolitische Thema in der zweiten Hälfte des letzten Jahres ist die Euro-Krise und der Rettungsschirm für Griechenland. Die finanzpolitischen Lösungsansätze sind mannigfaltig und allesamt äußerst komplex. Hier kann man durchaus verschiedener Meinung sein. Doch gerade hier wird das ganze Ausmaß an gegenseitiger Missachtung und individuellem Geltungsdrang deutlich. So spricht Finanzminister Wolfgang Schäuble Vizekanzler Philipp Rösler das Recht ab, für die Regierung zu sprechen. „Innerhalb der Richtlinien der Bundeskanzlerin ist der Finanzminister für den Euro zuständig“, sagte Schäuble der BILD. Rössler, der daraufhin vor Denkverboten warnt, ist aber damit nicht genug gedemütigt: „Denkverbote sind zutiefst freiheitswidrig – aber das Gegenteil von Denkverboten sind nicht unbedingt Redegebote“, verleiht Schäuble seiner Abneigung abermals Ausdruck.

Christian Wulff

(Foto: Stiftung Stadtgedächtnis / CC BY-NC-ND 2.0)

Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) legt noch Einen drauf und erklärt dem eigenen Koalitionspartner dessen politische Pleite: „Ich frage mich, wie viel weiter ist denn die FDP politisch von einer Insolvenz entfernt als Griechenland?“.

Im Februar diesen Jahres ist es dann soweit: Weil ihr in Uneinigkeit Erstgeborener aus dem Haus flüchten musste, müssen zwei seit über 800 Tagen in einer unbefriedigenden Zwangsehe verloren gegangene Fremde einen neuen Volkssohn gebären. Sie zeugten Gauck in einem Akt versagter Verhütung.

Sie zeugten mit ihm ein perfektes Selbstbildnis.

An einem verregneten Dienstag im September 2013 hält eine schwarze Limousine im Norden Berlins an einer Ampel. Ein verspiegeltes Seitenfenster im Heck wird einen Spalt herunter gelassen. Ein Augenpaar blickt auf einen, im Herbstwind tänzelnden Plakatträger. Das blassgrüne Plakat darauf ist nur noch in Teilen vorhanden. Nur ein einziges Wort ist noch zu lesen: „ANSTÄNDIG“. Übrig geblieben ist auch der Rest eines Bildes: eine Hand, die zuversichtlich eine andere drückt. Die Ampel wird grün und die Limousine verschwindet schnell. 4 Stunden später tippt die Mitarbeiterin eines großen Nachrichtensenders mit flinken Fingern eine Eilmeldung ins Redaktionssystem: „Koalitionsverhandlungen spontan beendet!“

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